Energiecharta-Klagen beschäftigen deutsches Höchstgericht

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Check-List Redaktion

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Urteil soll am 27. Juli bekanntgegeben werden

Im Zuge der Energiewende haben viele Länder Politik und Gesetze geändert – das kann juristische Probleme mit Unternehmen nach sich ziehen, wie am Mittwoch 17 Mai bei einer Verhandlung am deutschen Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe deutlich wurde. Die obersten deutschen Zivilrichterinnen und -richter befassten sich mit Schiedsverfahren, die von Firmen gegen Deutschland und die Niederlande eingeleitet wurden.

Die Kläger sehen ihre Investitionen geschädigt, weil die Staaten ihre Gesetzgebung änderten. (Az. I ZB 43/22 u.a.) Der irische Investor Mainstream Renewable Power, der in Deutschland in Wind- und Solarenergie investiert hat, fordert von der Bundesrepublik Deutschland 275 Millionen Euro plus 56 Millionen Euro Zinsen. Die Energieversorger RWE und Uniper mit Sitz in Deutschland wiederum wollen gegen die Niederlande vorgehen. Sie hatten dort in Kohlekraftwerke investiert, das Land beschloss aber den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030.

Auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags von 1998 wandten sich die Unternehmen an eine Schiedsstelle, das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington. RWE will 1,4 Milliarden Euro. Uniper ist seit Ende vergangenen Jahres weitgehend verstaatlicht, weswegen es seine Forderung über mehrere hundert Millionen Euro nicht aufrechterhielt. Allerdings wollen die Niederlande weiter in beiden Fällen gerichtlich festgestellt wissen, dass jegliche Schiedsverfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags unzulässig sind.

Der inzwischen stark umstrittene völkerrechtliche Vertrag sollte vor allem Investitionen in Osteuropa schützen. Deutschland, die Niederlande und die Europäische Union haben ihn – wie fast 50 andere Vertragsparteien auch – ratifiziert, bereiten aber inzwischen den Austritt vor. Österreich hat sich noch nicht festgelegt, man prüft den Ausstieg. Die Bestimmungen für Investitionen gelten allerdings auch nach einem Austritt noch 20 Jahre lang weiter – weswegen die am BGH vorliegenden Fälle vorerst aktuell bleiben.

In der Energiecharta ist vereinbart, dass Streitfälle zwischen Investoren und Staaten von Schiedsstellen geklärt werden sollen. Die Fälle am BGH weisen alle eine Besonderheit auf, wie der Vorsitzende Richter Thomas Koch am Mittwoch erläuterte. Die betroffenen Staaten haben nämlich die Energiecharta unterzeichnet – sind aber auch Mitglied der Europäischen Union. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wiederum könnten solchen Schiedsverfahren entgegenstehen, in denen ein Investor aus einem EU-Staat gegen einen anderen EU-Staat vorgeht.

Der BGH bewegte sich also am Mittwoch in einem Netz aus deutschem Recht, EU-Recht und internationalen Verträgen. Er muss entscheiden, ob die beantragten Schiedsverfahren überhaupt zulässig sind. Kernfrage ist, ob ein Staat noch vor Bildung des Schiedsgerichts dessen Zuständigkeit vor deutschen Gerichten klären lassen kann, wenn beide beteiligten Staaten der EU angehören.

Für die Fälle der in Nordrhein-Westfalen ansässigen Unternehmen RWE und Uniper war zunächst das Oberlandesgericht Köln zuständig, das den Niederlanden recht gab und entschied, das die Schiedsverfahren unzulässig seien. Über die Zulässigkeit der Schiedsklage von Mainstream Renewable gegen die Bundesrepublik entschied dagegen das Berliner Kammergericht und gab dem Unternehmen recht. Die jeweils unterlegene Partei wandte sich daraufhin an den BGH.

Dort argumentierten die Anwälte der Unternehmen unter anderem mit dem Vertrauensschutz. Investitionen setzten Vertrauen voraus und keiner der teilnehmenden Staaten dürfe aus dem vorgesehenen Prozedere ausscheren. Die Möglichkeit, Streitigkeiten einem “unabhängigen Forum” vorzulegen, stelle einen hohen Wert dar.

Die Anwälte der Staaten wiederum trugen vor, dass die in der Energiecharta vorgesehene Regelung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hier eindeutig nicht greife. Da dies eindeutig sei, sei es auch nicht nötig, den EuGH erneut dazu zu befragen.

Ein kompliziertes Thema, über das lange verhandelt wurde. Der erste Zivilsenat will ausführlich über alle Argumente nachdenken. Am Mittwoch verkündete der BGH darum noch keine Entscheidung. Sie soll am 27. Juli fallen.

APA/Red.

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