Chaos-Vermeidung als Überlebensstrategie
Wo Menschenmengen aufeinandertreffen, kann schnell Unruhe entstehen - oft mit tödlichem Ausgang.

Wenn Menschen auf der Flucht sind, herrschen oft chaotische Zustände. Wir leben unter ständiger Bedrohung vom, durch (Atom-)Kriege oder Naturgewalten ausgelösten, „Weltuntergang”. Doch: Ein Lichtblick. Eine Studie eines Forschungsteams vom Massachusetts Institute of Technology legt anhand mathematischer Analysen, agentenbasierter Simulationen und Menschenmengen-Experimenten dar, dass der Übergang von Ordnung zu Unordnung bei einem vorhersehbaren Wert der Winkelstreuung auftritt.
Ordnungs- und Unordnungszustände
Die Forscher erklären, dass ab einer bestimmten Personendichte oder Konfliktrate die Ordnung, in welcher wir uns fortbewegen, zusammenbricht. Es entsteht dabei ein chaotischer „Zustand der Unordnung“, in dem sich die Bewegung verlangsamt oder sogar zum Stillstand kommt. Dieser Übergang von Ordnung zu Unordnung verläuft abrupt und ähnelt einem sogenannten „Phasenübergang“ aus der Thermodynamik – vergleichbar mit dem Gefrieren von Wasser oder dem Magnetisieren von Metallen. Bei vielen verschiedenen Bewegungsrichtungen auf engem Raum kann unser kollektives System an Stabilität verlieren.
Die Mathematik des Chaos
Die Autoren nutzten ein physikalisches Modell, das ursprünglich für „aktive Materie“ entwickelt wurde (z. B. Schwärme von Bakterien oder Roboterschwärme). Daraus leiteten sie mathematische Bedingungen ab, bei denen Ordnung oder Chaos zu erwarten ist. Der Übergang zwischen geordnetem und ungeordnetem Verhalten wird hierbei nicht primär durch die Dichte der Menschenmenge ausgelöst, sondern durch eine andere Größe. Der entscheidende Parameter ist die Winkelstreuung der Bewegungsrichtungen. Das heißt, je mehr Menschen sich in unterschiedliche Richtungen bewegen, desto eher kippt das System in den ungeordneten Zustand. Eine hohe Dichte allein führt nicht automatisch zu Chaos – solange die Winkelstreuung gering ist, kann das System geordnet bleiben. Erst in Kombination mit hoher Richtungsvielfalt wird es kritisch.
Der kritische Winkel
Laut der Rechnung der Studie kann der Übergang zum Chaos bei einem Winkel von ca. 13 Grad auftreten. Ab diesem Zeitpunkt ist demnach kein geordneter Positionswechsel mehr möglich. Diese Rechnung wurde mit zwei Versuchsgruppen (einmal 83, einmal 70 Teilnehmer) überprüft. Die Ausgangssituationen, wie Start- und Endpositionen, wurden außerdem mehrfach geändert. Die Experimente bestätigten den Winkel. Ab 13 Grad entstand eine unkoordinierte, chaotische Menge, die sich deutlich langsamer und ineffizienter bewegte.
Die Sicherheit des Ordnungszustands
Was nach theoretischer Physik und Mathematik klingt, ist in Wahrheit ein Lehrstück für urbane Überlebenssituationen: Wenn Orientierung verloren geht und zu viele Menschen gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen drängen, kippt selbst eine geordnete Menge blitzartig in Unordnungszustände. Da der Zusammenbruch in klaren Mustern erfolgt, kann man jedoch vorbereitet handeln. Solange wir in unseren Alltagssituationen mitrechnen, können wir dem Chaos also entgehen.
(red)