Inside Wasser-Wunder: Winzig, aber wild
Diese Flüsse stehen unter Strom! Check-List-Reporter Harald Fleischer machte sich auf die Suche nach der unterschätzten Kraft des Wassers – und stieß auf kleine Riesen, die vor Energie strotzen. Und auch liefern, wenn alles andere ausfällt.
Mächtige Staumauern, Schleusenanlafen, die imposant schäumen und rauschen – so stellt man sich Wasserkraftwerke vor. Die eindrucksvollen Kraftwerksbauten an der Donau oder in Kaprun kommen einem in den Sinn. Aber es geht auch anders. Rund 4.000 sogenannte Kleinwasserkraftwerke gibt es in Österreich. Viele davon befinden sich in Privatbesitz. Mit ihrer Leistung von bis zu zehn Megawatt (Engpassleistung) liefern sie jährlich ca. sechs Terawattstunden CO2-freien Ökostrom in das öffentliche Versorgungsnetz: Somit decken diese kleinen regionalen Kraftpakete etwa zehn Prozent des gesamten österreichischen Strombedarfs ab – mit einem Schwerpunkt: Sie und versorgen rund 1,7 Millionen österreichischer Haushalte mit elektrischer Energie. Das sind mehr als 50 Prozent aller Haushalte.
Backup für Blackout
Die Kleinwasserkraft hat aber auch eine wichtige Funktion im Störfall. Sollte es zu einem Blackout kommen, kann sie lokal und regional das Stromnetz resetten. Mittels „Schwarzstart“ wird das System hochgefahren. „Schwarzstartfähig“ heisst, dass das Kraftwerk ohne Anschluss an das Stromnetz die Stromerzeugung wiederaufnehmen kann. Von diesem Kraftwerk aus werden dann Netzteile (Versorgungsinseln) mit Strom versorgt. Dies ist auch kurzfristig möglich. Daher ist es wichtig, viele schwarzstartfähige Kraftwerke im gesamten Netz zu haben. Sozusagen als Backup für einen Blackout.
Mit kaiserlicher Kraft
In ihrer „Mission 2030“ hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 Strom in einem Ausmaß zu erzeugen, dass der nationale Gesamtstromverbrauch zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt wird. Wasserkraft soll hierzu zusätzliche fünf Terawattstunden liefern. Kleinwasserkraftwerke könnten gut die Hälfte dazu beitragen. Durch Nutzung ungenützter Potenziale und Modernisierung bestehender Anlagen soll dies möglich sein. Stellt sich nur die Frage, ob das so einfach geht. Oder gibt es da noch einige, nun ja, Stromschnellen zu überwinden?
Im westlichen Niederösterreich, direkt an der Erlauf, steht die Kittelmühle. Eine Mühle mit ansehnlicher Geschichte. Bis ins 11. Jahrhundert zurück reicht die Erwähnung zurück. Seit 1881 ist sie im Besitz der selben Familie. Bereits 1907 erhält die Anton Kittel Mühle zu Plaika eine „k.u.k. Elektrotechnische Konzession zum gewerbsmäßigen Betrieb der Erzeugung und Leitung von Elektrizität“. Der Ort Erlauf wird seither mit Strom versorgt. 1980 erfolgte dann der Neubau des Kleinkraftwerkes Plaika.
Bürokratie, der träge Fluss
Geschäftsführer Hannes Taubinger – die Familie Taubinger ist Eigentümerin des Unternehmens – und dessen Vater Johann Taubinger erzählen aus dem Alltag eines Mühlen- und Kleinwasserkraftwerkbesitzers: Mittlerweile wurde die Mühle ausgebaut und zählt mit ca. 190 Tonnen Tageskapazität zu den größten Mühlen Österreichs. Die Zahl der Kleinwasserkraftwerke ist auf insgesamt 16 (inkl. Beteiligungen) im Unternehmen gestiegen und wurde durch zwei Windparks ergänzt. Die Kleinwasserkraftwerke fügen sich großteils harmonisch in die Umgebung, aber von Romantik kann hier nicht die Rede sein. „Die Regularien zum Betrieb der Anlagen werden immer strenger“, sagt Taubinger. Zudem fließt das Wasser weit schneller als die Bürokrarie: So hat sich beispielsweise ein Projekt trotz Erfüllung aller Vorgaben um fünf Jahre verzögert. Obwohl die Wasserschutzbehörde einen positiven Bescheid ausgestellt hatte, vergab die Naturschutzbehörde einen gegenteiligen, also negativen. Der positive musste erst beim Landesverwaltungsgericht erkämpft werden. Nicht nur die fünf Jahre, sondern auch um 50 Prozent gestiegene Baukosten waren das Resultat.
Projekt Phantom-Lachs
Der Alltag eines Kleinwasserkraftwerkbesitzers bietet aber auch kabarettmäßige Erlebnisse. So musste bei einem Neubau die Fischaufstiegshilfe an den Huchen (auch Donaulachs, bis max. 150 cm) angepasst werden, obwohl es seit ewigen Zeiten keine Huchen in dem Gewässer mehr gibt. Aber es könnte ja wieder einmal einer daherschwimmen – was als Argument durchaus seine Berechtigung hat. Allerdings war die Vorgabe der Behörde, dass der Betreiber die Funktion der Fischleiter nachweisen sollte. Dass sich dies ohne vorhandenen Huchen als schwierig gestaltet, hat letztendlich auch die Behörde eingesehen.
Weiter geht es nach Oberösterreich an die Alm bei Vorchdorf zum Kraftwerk Rittmühle. Die Nutzung der Wasserkraft im Almtal hat Tradition. Die Ableitung des Mühlbachs beim Rittmühler Wehr geht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Es diente auch zum Betrieb der 1865 gegründeten Papierfabrik. Vor etwa 40 Jahren zerstörte allerdings ein Hochwasser die Wehranlage, und der Mühlbach wurde in den 1970/1980er-Jahren zugeschüttet. Erst 2019 starteten die Bauarbeiten für das Kleinwasserkraftwerk, und 2020 konnte das Power Plant Rittmühle seinen Betrieb aufnehmen. Die hochmoderne Anlage wird von Paul Ablinger als Geschäftsführer geleitet.
4.000 Kleinwasserkraftwerke
Ablinger ist auch Geschäftsführer des österreichweit tätigen Vereins „Kleinwasserkraft Österreich“. Dieser vertritt die Interessen seiner etwa 1.000 Mitglieder mit 4.000 Kleinwasserkraftwerken. Etwa zwei Drittel der Anlagen sind in Privatbesitz. In seiner Funktion versucht Ablinger, den Ausbau der Kleinwasserkraft voranzubringen. Damit will der Verein dazu beitragen, das Ziel Österreichs für erneuerbare Energie zu erfüllen.
Neben dem Neubau liegen in der Nutzung bereits bestehender Querbauwerke große Potenziale für den Ausbau der Wasserkraft. Diese wurden bislang nur für den Hochwasserschutz benötigt. Aber auch die Revitalisierung bestehender Standorte birgt Potenzial. Neben dem Turbinentausch können auch neue Anlagenkonzepte wesentliche Verbesserungen bringen. In jedem Fall sind ökologische Anpassungen für den Durchlass der Fische und des Makrozoobenthos – der am Gewässerboden lebenden tierischen Organismen – erforderlich.
50 Turbinen auf 45 Kilometern
Der Fluss Alm ist eines der am stärksten ausgebauten Gewässer in Österreich. Auf 45 Kilometern Flussstrecke befinden sich 50 Turbinen. Beim Ausbau muss aber sorgsam vorgegangen werden. Und man braucht einen langen Atem. Das Projekt Rittmühle hatte vom Beginn der Planung bis zur Inbetriebnahme eine Durchlaufzeit von 15 Jahren. Sieht man sich heute die Anlage an, hat es sich ausgezahlt. Mit der Einspeisung ins öffentliche Netz von rund 2 Mio. Kilowattstunden können 600 Haushalte mit regionalem Ökostrom versorgt werden. Eine Fischwanderhilfe, kombiniert aus technischem und natürlichem Beckenpass, sowie ein Fischabstiegsbypass sorgen für die Passierbarkeit.
Weiter geht‘s ins nördliche Waldviertel. Das Ziel ist die Dyk-Mühle in Raabs an der Thaya. Geschäftsführerin Lisa Dyk führt durch den Betrieb. Die Mühle hat eine lange Tradition. Bereits 1881 kauften die Ururgroßeltern von Dyk die sogenannte „Hofmühle“ von der örtlichen Herrschaft. Während des Zweiten Weltkriegs war die Mühle geschlossen. Unter schwierigen Bedingungen begann die Familie danach mit einem Neustart des Betriebes. Ab 1970 lenkten dann die Eltern von Dyk die Geschicke des Unternehmens.
Den regen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten des Ehepaares und wichtigen Innovationen ist es zu verdanken, dass der Betrieb nicht auch ein Opfer des „Mühlensterbens“ Anfang der 90iger -ahre wurde. 2002 kam Lisa Dyk auf Grund der damaligen Hochwasserkatastrophe nach Hause in den elterlichen Betrieb. Sie wollte nur bei den Aufräumungsarbeiten helfen. Geplant war ein Monat. Das gute Verhältnis zu den Eltern und das große Engagement der Mitarbeiter war dann ausschlaggebend für ihren Verbleib. Und nun hat sie die Geschäftsführung inne.
Der Modernisierungsschub
Nicht nur der Mühlbetrieb, auch die Stromerzeugung hat hier Tradition. Bereits 1920 wurde eine Francis-Turbine installiert. Bis 2014 war sie im Einsatz und lieferte etwa ein Drittel der benötigten Energie. Im Zuge der Errichtung eines Hochwasserschutzes für den Ortskern von Raabs hat man sich 2014 für den Neubau einer Wasserkraftanlage entschlossen. Dabei wurde penibel auf die Vorgaben des Wasser- und Naturschutzes geachtet. 2017 ging dann die hochmoderne und voll automatisierte Anlage in Betrieb.
Auf Knopfdruck vom Netz
Das neue Kleinwasserkraftwerk ist mit einer von der oberösterreichischen Firma WWS gebauten Kaplanturbine ausgestattet. Mit 220 Kilowatt bringt sie die dreifache Leistung der bisherigen Turbine. Das reicht noch nicht ganz für den Bedarf an Energie in der Mühle und dem angeschlossenen Sägewerk. Für Dyk ist es dennoch ein wichtiger Schritt zur Unabhängigkeit. Denn mit nur einem Knopfdruck kann die Anlage vom allgemeinen Netz getrennt werden. So ist auch bei einem kompletten Netzausfall bzw. Blackout die Energieversorgung in ausreichendem Maße gesichert.
Wirtschaftsfaktor Wasser
Die Kleinwasserkraft ist auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Investitionen fließen fast zu 100 Prozent in die heimische Wirtschaft, und rund 5.000 Menschen arbeiten in Österreich in der Wasserkraft-Zulieferindustrie. Bereits eine kleine 100-Kilowatt-Anlage kann einen Ort mit 100 Haushalten übers Jahr gerechnet mit Ökostrom versorgen. Diese dezentrale Stromeinspeisung durch die 4.000 Kleinwasserkraftwerke ist smot eine Stütze der Versorgungsinfrastruktur – und ein Backup bei Blackouts.
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