Neue Kennzahl macht Nachhaltigkeit messbar
Ein TU-Forschungsteam entwickelte ein neues Modell zur Integration von ökologischen und sozialen Faktoren in die Produktionsplanung.

Wie nachhaltig ist industrielle Produktion tatsächlich? Diese Frage stand im Zentrum eines Forschungsprojekts der Technischen Universität Wien in Kooperation mit Fraunhofer Austria. Während Effizienz in der Industrie traditionell vor allem durch Kennzahlen wie Auslastung, Verfügbarkeit oder Produktionsgeschwindigkeit definiert wird, sollen künftig auch ökologische und soziale Faktoren stärker berücksichtigt werden.
Vom CO₂-Ausstoß bis zu Arbeitsbedingungen
Der neu entwickelte „Overall Sustainable Equipment Effectiveness“-Index (OSEE) erweitert bestehende Metriken um zentrale Nachhaltigkeitsaspekte. Er zielt darauf ab, Unternehmen ein Werkzeug in die Hand zu geben, mit dem sie ihre Produktion umfassender bewerten und gezielter optimieren können – über rein wirtschaftliche Effizienz hinaus. Der OSEE-Index berücksichtigt eine breite Palette an Parametern: Energieverbrauch, direkte und indirekte CO₂-Emissionen, Einsatz von Rohstoffen, Schmiermitteln und Wasser, Abfallmengen und die Lebensdauer von Maschinenkomponenten. Zudem fließen soziale Faktoren ein – etwa die Qualität der Arbeitsbedingungen, ethische Standards entlang der Lieferkette, die Qualität des Wissenstransfers im Betrieb und Maßnahmen zur Weiterbildung. Ziel ist es, ökologische und soziale Aspekte gleichrangig neben ökonomischen Kennzahlen sichtbar und steuerbar zu machen.
Datennutzung aus dem laufenden Betrieb
Ein zentraler Vorteil des Ansatzes: Viele der nötigen Daten liegen in Unternehmen bereits vor. Neben klassischen Produktionsdaten werden auch Informationen aus der zentralen Produktionssteuerung, Personalstatistiken, Schulungsunterlagen und Feedbacks des Wartungspersonals in das System eingespeist. Auf diese Weise entsteht ein detailliertes Bild der gesamten Produktionskette.
KI-Modell mit nachvollziehbarer Logik
Technisch basiert der OSEE-Index auf einem bayesschen Netz, das komplexe Abhängigkeiten innerhalb der Produktion modelliert. Anders als bei vielen modernen KI-Anwendungen wurde bewusst auf schwer durchschaubare neuronale Netze verzichtet. „Für uns ist ganz wichtig, dass die Ergebnisse des Modells Schritt für Schritt nachvollziehbar und erklärbar sind“, sagt Projektleiter Fazel Ansari. Das Modell stellt grafisch dar, wie einzelne Arbeitsschritte, Maschinen und Personen miteinander verknüpft sind und wie sich Veränderungen an einem Punkt auf den Gesamtprozess auswirken.
Pilotprojekt in der metallverarbeitenden Industrie
Erprobt wird das neue Bewertungssystem derzeit in der metallverarbeitenden Industrie – einem Bereich, in dem schon kleinere Effizienz- oder Verfahrensänderungen spürbare Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit haben können. Neben der reinen Bewertung liefert das System auch konkrete Handlungsempfehlungen, etwa zur Umstellung von Abläufen, Schulungsbedarf oder zur besseren Nutzung vorhandener Ressourcen.
Beitrag zu nachhaltiger Industriepolitik
Das Projekt ist Teil eines von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unterstützten Programms, das auf enge Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie setzt. Langfristig soll der OSEE-Index dabei helfen, Nachhaltigkeit messbar und steuerbar zu machen – und Unternehmen bei der Umsetzung von EU-Vorgaben sowie bei der Entwicklung einer nachhaltigeren Unternehmensstrategie unterstützen.
(PA/red)