Zement im Kampf gegen städtische Überhitzung
Während Städte überhitzen, arbeiten Forscher an Baustoffen, die sich selbst herunterkühlen und CO₂-Emissionen reduziert.

Steigende Temperaturen in Städten, überhitzte Gebäude, wachsender Energieverbrauch – die Auswirkungen des Klimawandels machen sich im urbanen Raum zunehmend bemerkbar. Während Klimaanlagen weltweit boomen, tüfteln Forscher an Alternativen: Materialien, die von sich aus kühlen, ohne Strom zu verbrauchen. Besonders Zement rückt dabei in den Fokus – sowohl in Form moderner Innovationen als auch als Rückgriff auf antikes Wissen.
Kühler als die Umgebung
Ein Forschungsteam aus China und den USA hat einen Zement entwickelt, der sich bei starker Sonneneinstrahlung nicht aufheizt, sondern im Gegenteil sogar kühler bleibt als die Umgebung. Der sogenannte „Supercool Cement“ reflektiert fast das gesamte Sonnenlicht und gibt gleichzeitig Wärme über Infrarotstrahlung ab – direkt ins Weltall, sofern der Himmel klar ist. Im Test auf einem Dach in der chinesischen Stadt Nanjing blieb die Oberfläche des neuen Zements bis zu 26 Grad Celsius kühler als herkömmlicher Beton. Während sich normaler Zement auf etwa 59 Grad aufheizte, lag die Temperatur des neu entwickelten Materials nur bei rund 33 Grad – bei einer Außentemperatur von 38 Grad. Der Effekt beruht auf sogenannter passiver Strahlungskühlung, einem physikalischen Prinzip, das bisher vor allem in Hightech-Materialien wie Metamaterial-Folien verwendet wurde. Nun soll es auch in der Baubranche ankommen – großflächig, kostengünstig und dauerhaft haltbar.
Weniger Emissionen
Der kühlende Zement ist nicht nur thermisch wirksam, sondern laut Forschern auch umweltfreundlicher in der Herstellung. Im Vergleich zu herkömmlichem Portlandzement entsteht bei der Produktion rund 25 Prozent weniger CO₂. Über die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes könnte so pro verbauter Tonne Zement bis zu drei Tonnen CO₂ eingespart werden – nicht nur durch die Herstellung, sondern auch durch den geringeren Energiebedarf für Kühlung. Gerade in heißen Metropolen wie Mumbai, Kairo oder Lagos könnte der Einsatz solcher Materialien entscheidend sein. Dort könnten Gebäude mit kühlendem Zement nach rund 15 bis 20 Jahren sogar klimaneutral oder CO₂-negativ bilanziert werden.
Photonischer Beton
Auch in Europa wird an kühlenden Baustoffen geforscht. Das EU-Projekt „MIRACLE“ entwickelte einen photonischen Beton, der ebenfalls passiv kühlt. In Tests unter südspanischer Sonne lag die Temperatur auf der Betonoberfläche mehrere Grad unter der Umgebung. Simulationsmodelle zeigen, dass der großflächige Einsatz auf Straßen und Dächern die Temperaturen in Städten tagsüber um bis zu zehn Grad senken könnte – und nachts immerhin noch um bis zu fünf Grad. Der photonische Beton basiert auf bekannten Baustoffen und könnte daher leichter in bestehende Produktionsprozesse integriert werden. Patente liegen vor, ein Start-up arbeitet an der Markteinführung.
Antiker Zement als Vorbild
Neben neuen Materialien rückt auch ein altes wieder in den Blick: der römische Zement. Der sogenannte „opus caementicium“, verwendet im Bau des Pantheons oder Aquädukten, ist bis heute erstaunlich stabil – und selbstheilend. Mikrorisse verschließen sich durch chemische Reaktionen mit Wasser, was die Lebensdauer erheblich verlängert. Im Unterschied zum modernen Beton basierte der römische Zement auf einer Mischung aus Kalk, Vulkanasche und Gestein – alles Materialien, die deutlich weniger energieintensiv herzustellen sind. In Laborversuchen versuchen Forscher heute, dieses Wissen wieder nutzbar zu machen – angepasst an moderne Anforderungen und mit deutlich geringerer CO₂-Bilanz.
Kühlung ohne Strom
Ob neue Hightech-Zemente oder wiederentdeckte historische Rezepturen: Gemeinsam ist den Entwicklungen, dass sie Hitzeprobleme baulich und nicht elektrisch lösen wollen. Das ist auch dringend nötig, denn weltweit steigt der Energiebedarf durch Klimaanlagen rasant an. In Deutschland hat sich der Absatz von Klimageräten innerhalb eines Jahres fast verdoppelt. In vielen Regionen wird befürchtet, dass Kühlgeräte künftig die Hauptlast im Stromnetz verursachen könnten – mit allen damit verbundenen Risiken für Netzstabilität und Emissionen. Die neuen Materialien könnten hier eine wirksame Alternative sein. Noch allerdings stehen sie am Anfang. Langzeiterfahrungen im realen Gebäudeeinsatz fehlen, ebenso Normen für den Einsatz im Bau. Auch ist unklar, wie sich die Materialien bei wechselnden Wetterbedingungen oder Verschmutzungen über Jahre hinweg verhalten.
Vielversprechend, aber kein Allheilmittel
Kühlender Zement und verwandte Materialien bieten viel Potenzial. Sie könnten helfen, Städte vor Überhitzung zu schützen und den Energieverbrauch deutlich zu senken – ohne laufende Kosten, ohne Technik, allein durch ihre physikalischen Eigenschaften. Zugleich machen Entwicklungen wie der römische Zement deutlich, dass Nachhaltigkeit im Bau auch durch Langlebigkeit und Materialwahl erreicht werden kann. Doch weder neue Hochleistungsmaterialien noch antike Rezepturen werden allein die Probleme der Bauindustrie lösen. Sie können aber Bausteine sein – im doppelten Sinne – für eine Bauweise, die besser mit der Klimakrise umgehen kann.
(red)