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Feldstudie: Warum Wölfe instinktiv vor Menschen fliehen

Ein internationales Forschungsteam konnte nachweisen, dass Wölfe menschliche Nähe gezielt vermeiden.

03.10.2025 10:25
Redaktion
© Adobe
Wolfsrudel

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Wildtierökologin Liana Zanette (Western University, Kanada) hat in der polnischen Tucheler Heide (Bory Tucholskie) nachgewiesen, dass Wölfe menschliche Nähe gezielt vermeiden. Mit versteckten Lautsprecher-Kameras testeten die Forscher die Reaktion auf Stimmen, Tiergeräusche und Vogelrufe. Das Ergebnis: Beim Klang menschlicher Stimmen flohen die Tiere mehr als doppelt so häufig wie bei natürlichen Geräuschen – und verließen den Ort doppelt so schnell.

„Wölfe sind nicht die Ausnahme, wenn es darum geht, Angst vor Menschen zu haben – und sie haben allen Grund dazu“, sagt Zanette. Menschen töten große Raubtiere wie Wölfe laut der Studie im Schnitt neunmal häufiger, als diese unter natürlichen Bedingungen sterben würden. Biologen sprechen daher vom Menschen als „Superräuber“. Diese dauerhafte Bedrohung hat das Verhalten der Tiere tief geprägt: Wölfe sind fast fünfmal so nachtaktiv wie Menschen – nicht aus Vorliebe, sondern aus Vorsicht.

Urinstinkte im Menschen

Doch diese Furcht ist kein exklusives Merkmal der Tierwelt. Auch wir tragen Urinstinkte in uns, die seit Jahrtausenden wirken. Die Angst vor der Dunkelheit etwa gilt als Archetyp: Sobald das Licht schwindet, reagiert unser Gehirn empfindlicher auf Reize. Ein Rascheln im Gebüsch, ein Schatten im Augenwinkel – und schon schlägt das alte Angstzentrum, die Amygdala, Alarm. Lange bevor der Verstand eingreifen kann, ist der Körper in Bereitschaft.

Hinzu kommen weitere Reflexe: das Zusammenzucken bei plötzlichen Geräuschen, der Ekel vor verdorbener Nahrung oder das instinktive Zusammenrücken in der Gruppe. Es sind Mechanismen, die grob und manchmal übervorsichtig arbeiten – aber genau deshalb das Überleben sichern.

So wie der Wolf den Tag meidet, weil er uns fürchtet, meidet der Mensch die Nacht, weil er sich dort verletzlich fühlt. In beiden Fällen ist es derselbe Instinkt.

Der Wolf im Schafspelz

Warum flüchtet der Wolf, obwohl wir ihm (noch) nichts getan haben? Weil er es nicht wissen muss – er spürt die Gefahr. Die Studie belegt: Schon eine menschliche Stimme reicht, um den Fluchtinstinkt auszulösen. Für den Wolf ist dieses Signal untrennbar mit Bedrohung verbunden.

Und was sagt das über uns? Auch wir kennen Situationen, in denen Gefahr diffus bleibt, das Gefühl aber anhält. Wenn keine offensichtliche Bedrohung erkennbar ist, übernehmen die Instinkte. Herzschlag, Alarmbereitschaft, Rückzug – dieselbe Logik, die auch den Wolf lenkt.

Und so ähneln die Wissenschaftler dem sprichwörtlichen „Wolf im Schafspelz“ – nur diesmal umgekehrt: Nicht Raubtiere tarnen sich als friedliche Weidetiere, sondern Menschen tarnen ihre wahre Rolle, um in die Nähe einer scheuen Wildtierpopulation zu gelangen.

Abschuss in Niederösterreich

Im Bezirk Zwettl ist am Mittwoch, 1. Oktober erstmals in Niederösterreich ein „Problemwolf“ erlegt worden. Der Abschuss sei auf Basis der Wolfsverordnung des Landes erfolgt, hieß es. Die seit April 2023 geltende Verordnung war im Vorjahr in einer Sitzung der Landesregierung einstimmig von allen Parteien verschärft worden. Die „Entnahme eines Problemwolfs“ sei ein „Signal für den Schutz und die Sicherheit von Mensch und Tier“, wurde in einer Aussendung betont.

Wolfsschutz ist Ehrensache

Das Europäische Parlament hat den Schutzstatus des Wolfs von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herabgestuft. Damit bekamen die Mitgliedsstaaten größeren Spielraum, um im Konfliktfall Abschussregelungen zu erlassen. In Österreich wird diese Maßnahme vor allem von Jagdverbänden und Weidetierhaltern begrüßt.

Die wissenschaftliche Datenlage aber zeigt: Der Wolf sucht nicht die Nähe des Menschen, er meidet sie. Er ist kein Aggressor, sondern ein Überlebenskünstler, der Abstand hält. Das Vieh des Menschen verschmäht er freilich nicht, wenn es unbewacht umherstreunt, als gehöre ihnen alles Land.

Der Wolf kann Schaden verursachen – doch seine Freiheit und sein Leben deshalb zu beenden, ist grausam. Das gerissene Schaf hätte am Ende auf einem Teller des Menschen geendet. Dem Wolf will man eine Mahlzeit verwehren. Genau darin liegt die bittere Ironie: Während der Mensch sich als Hüter seiner Herden versteht, und sich wundert, warum er vor uns die Flucht ergreift, hat der Wolf längst gelernt, uns zu fürchten. Und er hat allen Grund dazu.

(red)

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