Resistente Bakterien bringen Antibiotika ans Limit
Schon jede sechste bakterielle Infektion ist gegen gängige Antibiotika resistent, was die Behandlung von Krankheiten zunehmend erschwert.

Antibiotika – lange galten sie als Wundermittel der modernen Medizin. Sie retteten Millionen Menschenleben, machten Operationen sicherer und Infektionen beherrschbar. Doch dieser Erfolg ist zunehmend in Gefahr: Immer mehr Bakterien entwickeln Resistenzen, herkömmliche Medikamente wirken nicht mehr. Nun veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) neue Daten, die das Ausmaß des Problems deutlich machen: Bereits eine von sechs bakteriellen Infektionen weltweit ist resistent gegenüber gängigen Antibiotika.
Globale Zunahme resistenter Infektionen
Die WHO stützt sich auf Daten aus 77 Ländern. Sie dokumentieren einen klaren Anstieg von Resistenzen in den Jahren 2018 bis 2023 – bei über 40 % der beobachteten Bakterien-Antibiotika-Kombinationen stieg die Resistenzrate jährlich um 5 bis 15 Prozent. Besonders problematisch sind Erreger wie Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae, bei denen viele Standardtherapien nicht mehr anschlagen. Regional zeigen sich deutliche Unterschiede: In Südostasien und im östlichen Mittelmeerraum sind bereits rund ein Drittel aller getesteten Infektionen resistent, in manchen afrikanischen Ländern noch deutlich mehr. Doch auch in Europa ist das Problem präsent – etwa bei Krankenhausinfektionen oder bei multiresistenten Keimen auf Intensivstationen.
Antibiotika als Massenware
Ein wesentlicher Treiber ist der übermäßige und falsche Einsatz von Antibiotika – sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierhaltung. Oft werden Antibiotika unnötig verschrieben, beispielsweise bei viralen Infektionen, gegen die sie wirkungslos sind. In der Landwirtschaft dienen sie nicht nur zur Behandlung, sondern auch zur Wachstumsförderung – ein weiterer Risikofaktor. Zudem gelangen Rückstände von Antibiotika über Abwasser und Böden in die Umwelt, wo sie ebenfalls zur Resistenzbildung beitragen. In vielen Ländern fehlt es zudem an strenger Regulierung, Hygiene-Standards und Zugang zu modernen Diagnostika, um gezielt behandeln zu können.
Bedrohung für moderne Medizin
Die Folgen dieser Entwicklung sind dramatisch. Infektionen, die einst leicht behandelbar waren, können heute wieder tödlich enden. Ohne wirksame Antibiotika geraten auch medizinische Routineverfahren in Gefahr – etwa Kaiserschnitte, Chemotherapien oder Organtransplantationen. Die WHO warnt vor einer „stillen Pandemie“ mit weltweiten Auswirkungen. Jährlich sterben laut Schätzungen bereits über eine Million Menschen an resistenten Infektionen. Bleibt der Trend ungebremst, könnten es bis 2050 bis zu zehn Millionen pro Jahr werden – mehr als derzeit an Krebs sterben.
Forschung, Prävention, Politik
Die Bewältigung der Resistenzkrise erfordert ein breites Maßnahmenpaket. Zentrale Bausteine sind ein sparsamer und gezielter Einsatz von Antibiotika, der Ausbau von Überwachungssystemen, bessere Hygiene in Kliniken sowie Aufklärung der Bevölkerung. Gleichzeitig müssen neue Medikamente entwickelt werden – insbesondere gegen sogenannte „Superbugs“, also multiresistente Bakterien, gegen die kaum noch ein Mittel wirkt. Auch alternative Therapieansätze wie Bakteriophagen oder antimikrobielle Peptide gewinnen an Bedeutung. Auf politischer Ebene arbeiten viele Länder an nationalen Aktionsplänen. In der EU zeigt eine gemeinsame Auswertung von WHO, EFSA und EMA: Wo weniger Antibiotika verbraucht wurden – etwa in Skandinavien –, sanken auch die Resistenzraten. In Österreich etwa existiert mit dem NAP-AMR ein breit angelegter Strategieplan, begleitet vom jährlichen Resistenzbericht AURES.
Wettlauf gegen die Zeit
Trotz aller Warnungen und Initiativen: Die Zeit drängt. Die aktuellen WHO-Zahlen sind ein Weckruf an Politik, Gesundheitswesen und Gesellschaft. Denn jede verzögerte Reaktion verschärft die Lage – und je weiter sich Resistenzen ausbreiten, desto schwieriger und teurer wird ihre Eindämmung. Es braucht eine globale Anstrengung, um das „postantibiotische Zeitalter“ zu verhindern – eine Welt, in der kleine Infektionen wieder tödlich sind. Noch lässt sich gegensteuern. Doch die Chance, das Ruder herumzureißen, ist endlich.
(red)