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Neue Ostseequoten: Zwischen Schutz und Fanglust

Trotz bedenklicher Bestandslage erlaubt die EU für 2026 über 420.000 Tonnen Fischfang in der Ostsee.

28.10.2025 12:17
Redaktion
© Adobe
Hafen mit Fischerbooten an der Ostsee

Die Ostsee gilt als eines der sensibelsten Meeresökosysteme Europas. Überdüngung, Erwärmung und jahrzehntelange Überfischung haben viele Bestände stark geschwächt. Dennoch einigten sich die EU-Fischereiminister Ende Oktober in Luxemburg auf Fangquoten von mehr als 420.000 Tonnen für das kommende Jahr. Offiziell folgt die Entscheidung den Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) – in der Praxis aber wird immer wieder davon abgewichen.

Besonders betroffen ist der Kabeljau: Der einstige „Arme-Leute-Fisch“, Grundlage für Klassiker wie Fish & Chips, darf weiterhin nicht gezielt gefangen werden. Nur kleine Beifangmengen bleiben erlaubt. Dennoch findet man Kabeljau im Handel, zu Preisen von rund 50 Euro pro Kilo. Was früher ein alltägliches Nahrungsmittel war, ist heute eine Rarität geworden – ein Symbol dafür, wie stark menschlicher Einfluss die Meere verändert hat.

Zwischen Schutz und Fischwirtschaft

Die EU-Kommission betont, dass die Fanggrenzen auf wissenschaftlichen Gutachten beruhen. Tatsächlich sollen sogenannte „Total Allowable Catches“ sicherstellen, dass sich Bestände wie Hering oder Sprotte langfristig erholen können. Doch während gefährdete Arten wie der Dorsch geschont werden, bleiben die erlaubten Fangmengen anderer Arten hoch. So werden für Hering und Sprotte auch 2026 zehntausende Tonnen entnommen – ein Versuch, wirtschaftliche Interessen mit ökologischen Zielen zu verbinden.

Gleichzeitig gilt: Freizeitfischer dürfen nur einen Lachs pro Tag fangen. Diese Regelung soll einheitliche Standards schaffen, wirkt aber in Relation zur industriellen Fischerei fast symbolisch. Der Unterschied verdeutlicht, wie unterschiedlich die Akteure behandelt werden.

Ökologische Grenzen

Die Ostsee steht weiter unter Druck. Die Nährstoffbelastung bleibt hoch, die Wassertemperaturen steigen, Sauerstoffmangelzonen breiten sich aus. Ohne deutliche Reduktion der Fangmengen kann sich das empfindliche Ökosystem kaum erholen – auch Arten, die für die Fischerei wirtschaftlich unbedeutend sind, geraten dadurch unter Stress.

Gleichzeitig zeigt ein Blick über den Ostseehorizont hinaus, wie widersprüchlich die globale Nutzung der Meere verläuft. Während in Nordeuropa strenge Fangbeschränkungen für gefährdete Bestände gelten, werden Kabeljau und andere Arten im Nordatlantik in großem Stil gefangen, getrocknet und als Stockfisch vor allem nach Westafrika exportiert. Diese Praxis steht formal im Einklang mit internationalen Regeln, verdeutlicht aber, wie sehr wirtschaftliche Interessen und ökologische Ziele auseinanderklaffen können.

Jede Fangquote ist deshalb mehr als nur eine Zahl: Sie steht für das Spannungsfeld zwischen Schutz und Nutzung, zwischen jährlichem Ertrag und langfristiger Verantwortung. Ob die neuen Ostseequoten diesem Anspruch gerecht werden, bleibt offen. Sicher ist nur: Umweltpolitik entfaltet ihre Wirkung erst, wenn das Prinzip “weniger ist mehr” gilt.

(APA/red)

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