Warum kaum jemand den Stromanbieter wechselt
Trotz hoher Energiepreise bleibt die Wechselfreude gering. Teils aus Komplexität und schlechten Erfahrungen.
Seit der Strommarktliberalisierung im Jahr 2001 könnten österreichische Haushalte ihren Anbieter frei wählen. Doch faktisch geschieht das kaum: Die Wechselrate lag 2024 bei nur rund fünf Prozent, wie E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch am Mittwoch erklärte. Viele Kundinnen und Kunden bleiben bei ihren Landesversorgern – obwohl sie damit teils 30 bis 40 Prozent mehr bezahlen als bei günstigeren Anbietern.
Die Ursachen reichen weit über Trägheit hinaus: Sie betreffen Erfahrungen mit plötzlichen Vertragskündigungen, unklaren Preisbindungen und einem Vertrauensverlust, der in der Energiekrise 2022 gipfelte.
Vertragstreue trotz Preisvorteil
Die E-Control dokumentiert, dass österreichische Haushalte im Schnitt 14 bis 15 Cent netto pro Kilowattstunde zahlen, obwohl Anbieter mit rund 10 Cent / kWh am Markt sind. Der vermeintliche Wettbewerb verpufft, weil viele Tarife zeitlich begrenzte Boni oder kurze Preisgarantien enthalten. Nach zwölf Monaten werden die Preise häufig an das Marktumfeld angepasst – meist nach oben.
Auch Konsumentenschützer warnen, dass Wechselaktionen oft nur kurzfristige Entlastung bringen. Das Resultat: Eine Mehrheit bleibt lieber beim vertrauten Anbieter, als sich erneut durch Vertragsbedingungen und Vergleichsportale zu kämpfen.
Kündigungen in der Energiekrise
Der eigentliche Wendepunkt war das Jahr 2022. Damals gerieten mehrere Energieversorger – darunter Wien Energie – in Kritik, weil sie laufende Verträge änderten oder kündigten, um gestiegene Beschaffungskosten abzufedern. Zahlreiche Konsumentinnen und Konsumenten erhielten sogenannte Änderungskündigungen: Entweder der Vertrag wurde zu neuen, teureren Konditionen fortgesetzt – oder beendet.
Laut E-Control-Jahresbericht 2023 waren insgesamt rund 500.000 Haushalte in Österreich von derartigen Vertragsänderungen oder Kündigungen betroffen – etwa jeder zehnte Haushalt. Gerichte erklärten später Teile dieser Praxis für unzulässig, doch das Vertrauen war bereits erschüttert. Viele Konsumentinnen und Konsumenten fürchten seither, dass Anbieter ihre Konditionen jederzeit anpassen könnten – egal, was im Vertrag steht.
Angst vor erneutem Kontrollverlust
Diese Erfahrungen prägen den Markt bis heute. Zwar sind Preisänderungen während einer vereinbarten Garantiephase laut Konsumentenschutz „auf jeden Fall unzulässig“, doch bleibt der Spielraum groß. Die Novelle des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes (ElWOG) erlaubt seit 2023 Preisänderungen bei außergewöhnlichen Umständen.
Das Ergebnis: Statt Wettbewerb herrscht Verunsicherung. Der Gedanke, dass ein Wechsel den eigenen Vertrag weniger sicher macht, schreckt viele ab – selbst wenn objektiv Geld zu sparen wäre.
Ein strukturelles Feigenblatt
Der Energiebinnenmarkt wirkt liberalisiert, funktioniert aber wie ein Oligopol. Mehrere Landesversorger – darunter EVN, Wien Energie, Kelag und Verbund AG – halten den Großteil des Marktes, während kleinere Anbieter kaum durchdringen. Netzgebühren, Abgaben und staatliche Kostenanteile machen je rund ein Drittel der Rechnung aus; der tatsächlich wechselbare Energieanteil bleibt damit begrenzt.
Ein Anbieterwechsel wird so zum symbolischen Feigenblatt, das den Konsumenten Wahlfreiheit suggeriert, ohne reale Systemwirkung zu entfalten.
Dass Österreichs Stromkundschaft kaum wechselt, erklärt sich als Folge von Krisenerfahrungen und fehlender Transparenz. Die Energiekrise 2022 hat gezeigt, wie brüchig Vertrauensverhältnisse zwischen Konsumenten und Versorgern sind.
Solange Preisgarantien, Vertragsbedingungen und Kündigungsschutz nicht klarer geregelt sind, bleibt der Wechsel des Stromanbieter ein nicht kalkulierbares Risiko für viele Privathaushalte.
(PA/red)