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Kinder in der Grippewelle weiterhin überschätzt

Die frühe Grippesaison löst Warnungen aus, doch das wiederkehrende Kinderargument greift zu kurz.

27.11.2025 17:28
Redaktion
© Adobe

Europa steuert auf eine ungewöhnlich frühe und möglicherweise stärkere Grippesaison zu. Grund ist die neue Influenza-Variante H3N2(K), die bereits in Großbritannien, Japan und Teilen Westeuropas für hohe Fallzahlen sorgt. Auch in Österreich nimmt ihr Anteil zu; das nationale Referenzlabor der MedUni Wien beobachtet die Entwicklung seit dem Sommer. Die Variante gilt als hoch ansteckend und verursacht typische Grippesymptome wie Fieber, Husten oder Gliederschmerzen. Schwerere Verläufe als bei anderen H3-Varianten sind laut aktueller Daten jedoch nicht zu erwarten.

Weil die Mutation zu spät entdeckt wurde, ließ sich der Impfstoff für diese Saison nicht mehr anpassen. Dennoch schützt die Impfung nach wie vor gut vor schweren Verläufen – auch wenn Impfdurchbrüche heuer etwas häufiger sein können.

Warum die Welle heuer früher kommt

Die heurige Influenza entwickelt bereits Wochen vor dem üblichen Zeitpunkt Dynamik. Fachleute rechnen mit einem Beginn der Welle in zwei bis fünf Wochen, also noch mitten im laufenden Schul- und Unibetrieb. Das Virus zeigt damit ein Muster, das vor der Pandemie wiederholt beobachtet wurde: Nach mehreren moderaten Jahren folgen oft intensivere Saisonen mit früherer Aktivität.

Nun warnen Virologen erneut davor, dass Kinder „sich sehr gut gegenseitig anstecken, das Virus in ihre Familien tragen und damit als Motoren der Ausbreitung fungieren“. Tatsächlich sind sie im Schulumfeld vielen Kontakten ausgesetzt – aber diese Feststellung greift zu kurz und vermittelt ein einseitiges Bild.

Das verkürzte Kinder-Narrativ

In einem Interview verweist Monika Redlberger-Fritz darauf, dass Kinder „das Virus sehr gut gegenseitig weitergeben“ und es „in ihre Familien tragen“ könnten. Die Formulierung folgt einer Argumentationslinie, die aus den Pandemie-Jahren vertraut ist: Kinder als unsichtbare Verteilzentren, als Motoren und Verstärker.

Tatsächlich zeigen epidemiologische Studien, dass Kinder in Schulen oft höhere Attack Rates aufweisen – ein Befund, der auf die hohe Kontaktdichte und begrenzte räumliche Ausweichmöglichkeiten zurückzuführen ist. Doch dieser Aspekt erklärt nur einen Teil des Gesamtbildes. Influenza verbreitet sich überall dort effizient, wo viele Menschen – ungeachtet ihres Alters – über längere Zeiträume in Innenräumen zusammenkommen: in Büros, Produktionshallen, Universitäten, Pflegeeinrichtungen oder Öffis. Der alleinige Fokus auf Kinder erzeugt daher ein verzerrtes Risikoprofil.

Wenn Redlberger-Fritz erneut auf das Kinderargument verweist, knüpft das an Kommunikationsmuster an, die bereits während der Pandemie eine große Rolle spielten. Eine wissenschaftlich fundierte Risikokommunikation müsste hingegen anerkennen, dass Übertragungswahrscheinlichkeit primär raum- und verhaltensbedingt ist – und nicht altersbedingt. Der wiederholte Fokus auf Kinder lässt wichtige andere Übertragungsumfelder außer Acht.

CheckList-Analyse: Viren folgen Gelegenheiten, nicht dem Geburtsdatum. Eine realistische Riskoabschätzung sollte daher alle relevanten Kontaktumfelder abbilden – und Kinder nicht reflexhaft in eine Sonderrolle drängen.

(red)

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