CO₂-Zertifikat-Krise: Projekte auf der Kippe
Qualitätsprobleme im Kohlenstoffmarkt gefährden Projekte, Wälder und die Lebensgrundlagen tausender Menschen vor Ort.
Der freiwillige Kohlenstoffmarkt galt lange als Hoffnungsträger im globalen Kampf gegen den Klimawandel. Unternehmen kauften CO₂-Zertifikate (sogenannte Offsets), um ihre Emissionen auszugleichen, und unterstützten dabei Projekte, die Wälder schützten, Aufforstung betrieben oder erneuerbare Energien in Entwicklungsregionen förderten. Doch in den letzten Monaten gerät der Markt ins Wanken. Viele Projekte stehen nun auf der Kippe, und damit die Wälder und Gemeinden, die von den Einnahmen abhängen.
Qualitätsprobleme untergraben Vertrauen
Der Zusammenbruch des Marktes hat vor allem mit Qualitätsproblemen zu tun. Zahlreiche Offsets scheinen den versprochenen CO₂-Effekt zu überschätzen, manche Projekte wären wohl auch ohne die Zahlungen entstanden. Hinzu kommen Risiken wie Waldbrände oder doppelte Anrechnung der Zertifikate, die das Vertrauen von Unternehmen und Investoren erschüttern. Große Konzerne beginnen daher, ihre Kaufprogramme zu reduzieren oder ganz einzustellen. Die Folge: Die dringend benötigte Finanzierung für viele Projekte bricht weg.
Wälder und Gemeinden am Limit
Besonders dramatisch sind die Folgen für Wälder und die Menschen vor Ort. Im kenianischen Kasigau Wildlife Corridor-Projekt beispielsweise fließen laut The Guardian bislang Mittel aus dem Offset-Markt in Schulprojekte, Gesundheitsversorgung und Wasserinfrastruktur. Ohne diese Gelder könnten die Schutzmaßnahmen eingestellt werden, Abholzung und Landrodung drohen, und die Lebensgrundlagen von tausenden Menschen stehen auf dem Spiel. Auch die Tierwelt leidet: Elefanten, Giraffen und andere Arten verlieren geschützte Lebensräume, und das fragile Gleichgewicht der Ökosysteme gerät in Gefahr.
Reformen als Chance
Die Krise zwingt zur Reform. Zertifizierungsstellen wie Verra überarbeiten derzeit ihre Standards, um Transparenz und Unabhängigkeit zu erhöhen. Projekte sollen künftig stärker überprüft werden, die tatsächlich vermiedenen Emissionen müssen verlässlich nachgewiesen sein. Gleichzeitig wird deutlich, dass Kohlenstoffkompensation nur ergänzend zu echten Emissionsreduktionen wirken kann. Ohne politische Regulierung, Mindeststandards und stabile Finanzierungsmechanismen droht sonst ein weiterer Vertrauensverlust und das Scheitern vieler Projekte.
Ein Scheideweg für den Klimaschutz
Der freiwillige Kohlenstoffmarkt steht an einem Scheideweg. Er könnte als Instrument für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung überleben – oder in der aktuellen Vertrauenskrise scheitern. Die kommenden Monate werden entscheidend sein: Nur wenn Qualität, Transparenz und langfristige Finanzierung gesichert sind, können Wälder und die Menschen, die von ihnen abhängen, geschützt werden. Der Markt zeigt eindrücklich, dass Klimaschutz durch Kompensation funktioniert, solange er mehr ist als ein symbolisches Zahlen auf Papier – und reale Wirkung entfaltet.
(red)