Diabetes zwischen Büro und Abendkonsum
Zum Welt-Diabetes-Tag zeigt die Ärztekammer, wie Arbeitsalltag und Genuss den Krankheitsverlauf prägen.
In Österreich leben bis zu 800.000 Menschen mit Diabetes – viele von ihnen verbringen den größten Teil des Tages im Büro, in Werkshallen oder Schichtbetrieben. Genau dort, sagt die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK), entscheidet sich oft, wie stabil ihre Gesundheit bleibt. Der Welt-Diabetes-Tag am 14. November macht heuer klar: Die Arbeitswelt ist ein zentraler Faktor – und Arbeitgeber stehen stärker in der Pflicht als bisher.
Artur Wechselberger, Leiter des Referats für Sozial- und Vorsorgemedizin, formuliert es deutlich: Menschen mit Diabetes dürfen im Berufsleben nicht von Strukturen ausgebremst werden, die ihre Erkrankung ignorieren. Im Alltag bedeutet das mehr als „Pausen und Kantine“.
Arbeitgeber müssen mehr tun
Gerade im Büro offenbart sich ein Problem: Die klassische Arbeitslogik geht von langen Sitzphasen, fixen Essenszeiten und eng getakteten Abläufen aus. Für Menschen mit Diabetes ist das schlecht. Arbeitgeber sollen deshalb neue Spielräume schaffen:
- Bewegung statt Dauersitzen: Pausen dienen nicht nur dem Weg zur Kantine. Beschäftigte mit Diabetes brauchen regelmäßige Bewegungseinheiten, kurze Unterbrechungen, kleine Aktivrunden – nicht „auf Verdacht“, sondern strukturell verankert.
- Flexible Essensfenster: Schichtarbeit, Meetings, Deadlines – all das darf die Aufnahme von Mahlzeiten nicht verzögern. Der Blutzucker kennt keine Terminlogik.
- Räumlichkeiten für Versorgung: Ein diskreter Raum für Messungen und Insulinabgabe sollte Standard sein – kein Privileg.
- Diabetiker-gerechte Kantinen: Weniger Zucker-Spitzen, mehr ausgewogene, proteinreiche Optionen. Ein Kantinenplan entscheidet für viele über stabile oder entgleisende Werte.
- Sensibilisierung der Teams: Nur wer versteht, diskriminiert nicht. Missverständnisse – etwa über Essgewohnheiten, Messgeräte oder Insulinabgabe – entstehen meist aus Unwissen.
Technisch ist vieles einfacher geworden: Hautsensoren ersetzen den Stich in die Fingerkuppe, moderne Insulin-Pens erlauben diskrete Anwendung. Doch der Alltag scheitert oft an der Bürokratie. Die ÖÄK fordert daher raschere Genehmigungen und verlässliche Kostenübernahmen durch die Krankenkassen.
Vom Büro in die Freizeit
Tagsüber bemühen sich viele Beschäftigte, ihre Werte stabil zu halten. Am Abend beginnt jedoch ein anderes Kapitel – eines, in dem Österreich laut OECD stark weit über die Stränge schlägt.
Der neue Bericht Health at a Glance 2025 zeigt ein vertrautes Muster: Tagsüber Dauerstress im Büro, abends kompensatorisches Verhalten – viel Essen, viel Alkohol, wenig Bewegung. Was für jeden gesundheitsschädlich ist, wirkt sich bei Menschen mit Diabetes doppelt negativ aus.
Die OECD nennt mehrere Punkte, die Österreich klar betreffen:
- Hoher Alkoholkonsum: Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt traditionell über dem OECD-Schnitt von 8,5 Litern reinem Alkohol pro Jahr. Alkohol beeinträchtigt die Blutzuckerregulation erheblich.
- Rauchen weiter verbreitet als im europäischen Durchschnitt: Ein Risikofaktor, der Gefäßschäden beschleunigt und Diabetes-Folgen verschärft.
Für das Sozialsystem ist dieser Befund ein Warnsignal. Wenn Prävention kaum Wirkung zeigt und Arbeitsplätze kaum Rücksicht auf chronische Erkrankungen nehmen, steigen langfristig die stationären Fälle – und damit die Kosten. Genau darauf verweist auch der Health at a Glance Report: Mit 6,9 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner hat Österreich eine deutlich höhere Bettenkapazität als der OECD-Durchschnitt von 4,3.
(PA/red)