EU-Lieferkettenrecht erneut unter Beschuss
Ombudsfrau kritisiert Brüssels Umgang mit der Richtlinie und moniert Unterlassungen sowie einseitige Verfahren.
Die Debatte um die europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bekommt einen neuen Dreh: Die Europäische Ombudsfrau Teresa Anjinho erhebt schwere Vorwürfe gegen die EU-Kommission. Laut ihrem Bericht habe die Kommission zentrale Verfahrensschritte ausgelassen, während sie die Richtlinie – sowie Teile der Agrarpolitik und der Migrationspolitik – weiter abschwächt. Brisant: Geladene Stakeholder sollen überwiegend aus der Industrie gekommen sein.
Einseitige Anhörungen, fehlende Begründungen
Anjinho kritisiert, dass die Kommission bei wichtigen Gesetzesänderungen „nicht alle relevanten Parteien“ angehört habe. Besonders beim Lieferkettengesetz zeigt der Befund ein klares Muster: Die dokumentierten Gespräche fanden großteils mit Industrievertretern statt, während andere betroffene Gruppen kaum eingebunden wurden. Zugleich habe die Kommission nicht ausreichend begründet, warum sie von üblichen Verfahren abwich und warum die Änderungen als dringlich eingestuft wurden.
Die Vorwürfe fallen in eine politische Phase, in der Brüssel die Richtlinie bereits mehrfach entschärft hat. Ursprünglich sollten Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Umsatz strenge Sorgfaltspflichten erfüllen. In späteren Entwürfen wurde die Grenze erst auf 1.000 Beschäftigte angehoben, im Oktober 2025 stimmte der EU-Rechtsausschuss sogar für einen Geltungsbereich ab 5.000 Beschäftigten und 1,5 Milliarden Euro Umsatz.
Österreichs Sozialpartner bleiben skeptisch
In Österreich wurde die Verwässerung des Gesetzes bereits heftig diskutiert. Während die Wirtschaftskammer (WKÖ) seit Monaten vor „Überregulierung“ warnt, sehen AK und ÖGB einen „Rückschritt bei Menschenrechten“. Ihre Kritik bezieht sich nicht auf heimische Arbeitsbedingungen, sondern auf jene in Drittstaaten – dort, wo Lieferketten besonders anfällig für Kinderarbeit, schlechte Löhne und Umweltverstöße sind. Die Sorgen der Arbeitnehmervertreter decken sich nun mit dem Befund der Ombudsfrau: zu viel Einfluss der Industrie, zu wenig Transparenz.
Auch NGOs wie Südwind warnen vor weltweiten Folgen einer europaweiten Entschärfung. Wenn Unternehmen künftig nur noch direkte Geschäftspartner prüfen müssen, bleiben tieferliegende Zulieferstufen weitgehend unbeobachtet – gerade dort, wo Missstände häufig auftreten.
Entlastung für KMU
Für kleine und mittlere Betriebe in Österreich würde eine weitere Lockerung zwar spürbare Entlastung bedeuten. Sie müssten weniger Nachweise erbringen, und große Unternehmen würden geringere Anforderungen an ihre Lieferanten stellen. Doch dieselben Änderungen könnten den Kern der Richtlinie aushebeln: den Schutz von Arbeiterinnen und Arbeitern entlang globaler Lieferketten.
Die Ombudsfrau spricht deshalb offen von einem „Missstand in der Verwaltungstätigkeit“. Ob die Kritik die Kommission dazu bringt, den Kurs zu korrigieren, bleibt offen.
(APA/red)