Glyphosat-Studie nach 25 Jahren zerpflückt
Der Rückzug einer Studie zeigt, wie wissenschaftliche Publikationen jahrzehntelang Debatten verzerren können.
Eine vielzitierte Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2000 – lange als Argument für die Unbedenklichkeit von Glyphosat herangezogen – ist nun offiziell zurückgezogen worden. Die Herausgeber des Fachjournals erklärten, dass zentrale Elemente der damaligen Publikation nicht mehr als gesichert gelten. Das betrifft sowohl die Auswahl der zugrunde liegenden Daten als auch Fragen der Autorschaft und möglicher Interessenkonflikte.
Damit verschwindet nach einem Vierteljahrhundert eines jener Papiere, das in Behördenentscheidungen, Unternehmenskommunikation und politischen Debatten oft als „Beleg“ für geringe Gesundheitsrisiken angeführt wurde. Der Rückzug ersetzt das Ergebnis nicht durch ein Gegenteil – aber er korrigiert die wissenschaftliche Aktenlage.
Wie Studien Interessen schützen
Die Untersuchung stützte sich ausschließlich auf vom damaligen Hersteller Monsanto vorgelegte Studien, die keine Hinweise auf Karzinogenität fanden. Schon damals existierten Langzeitdaten zur chronischen Toxizität und Karzinogenität, die jedoch nicht in die Bewertung einflossen.
Solche Auswahlmechanismen sind in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich, werden aber kritisch, wenn ein einzelnes Paper aufgrund seiner Reichweite eine Leitorientierung für Behörden entwickelt. Genau das war hier der Fall: Die Studie gehört laut Environmental Science & Policy weiterhin zu den meistzitierten Arbeiten zum Thema Glyphosat – trotz der seit 2017 bekannten internen Dokumente, die die Unabhängigkeit der Autorschaft in Frage stellten.
Der Rückzug zeigt daher weniger eine juristische Schuldfrage als eine strukturelle: Wird ein Befund oft genug referenziert, wird er zum „Faktum“, unabhängig davon, wie robust seine Grundlage ist. Und auch wenn Zweifel an der Seriosität auftauchen, vergehen Jahre bis zur Richtigstellung – wie in diesem Fall.
Systemische Verzerrungen
In interner Korrespondenz, die im Rahmen von US-Gerichtsverfahren veröffentlicht wurde, finden sich Hinweise auf Mitwirkung von Mitarbeitern des damaligen Herstellers und auf mögliche finanzielle Vergütungen. Die Herausgeber formulieren jedoch keine Absicht, keine Manipulation und keinen Betrug. Sie halten fest, dass Angaben zur Autorschaft und zu potenziellen Interessenkonflikten nicht den heute üblichen Transparenzstandards entsprechen.
Warum der Rückzug jetzt erfolgt
Seit der Veröffentlichung interner E-Mails 2017 besteht wissenschaftlicher Klärungsbedarf. Dennoch blieb das Paper im Umlauf, wurde weiter zitiert und fand Eingang in Literaturdatenbanken ohne Warnhinweise. Erst nach einer neuerlichen wissenschaftlichen Analyse – und wachsendem Druck, Probleme der Studienlandschaft transparent zu machen – entschieden die Herausgeber nun, das Vertrauen in die Ergebnisse als nicht mehr gegeben einzustufen.
Der Rückzug zeigt, wie lange es dauern kann, bis eine als anerkannte wissenschaftliche Studie revidiert wird – und wie gleichgültig und träge manche Herausgeber mit ihren Fehlleistungen umgehen.
(APA/red)