Österreichs Rückzug aus der Gentechnik-Debatte

Österreich gab seine vorlaute Vorreiterrolle beim Gentechnik-Widerstand auf und lässt Brüssel bestimmen.

04.12.2025 13:34
Redaktion
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Es gab Zeiten, in denen Österreichs Haltung zur Gentechnik nicht verhandelbar war. Ein demokratischer Markenkern, hochgehalten von Boulevard, Politik und Zivilgesellschaft gleichermaßen. „Gentechnikfrei“ war ein Wert an sich – emotional geschürt, politisch mobilisierend, mit klarer Binnenlogik: Wir sind ein kleines Land, also schützen wir, was wir haben.

Von dieser Gewissheit ist fast nichts geblieben. Heute wirkt die einstige Leitlinie wie eine verblasste Erinnerung: Der Boulevard hat andere Interessen, Parteien sprechen lieber über Budgetkonsolidierung, Inflationstreiber oder saubere Energielieferanten. Die öffentliche Erregungskurve schlägt bei Gentechnik nicht mehr aus. Was früher eine rote Linie war, ist heute eine weitere Pressemeldung der EU-Komission.

EU-Politik begünstigt US-Exporte

Der jüngste Kompromiss der EU-Verhandler zur Lockerung der Gentechnik-Regeln zeigt, wie sehr sich die Gewichte verschoben haben. Neue genomische Techniken – Crispr-Cas und verwandte Verfahren – sollen künftig weitgehend ohne Kennzeichnung in die Supermarktregale gelangen. Umweltprüfungen entfallen, Kennzeichnungspflichten werden auf das Saatgut reduziert, Patente ausgeweitet.

Das ist technisch begründbar, wissenschaftlich erklärbar – aber politisch schwach. Denn die entscheidenden Linien werden nicht mehr in Österreich gezogen, sondern in “Brüssel”. Dort hat sich ein pragmatischer Kurs durchgesetzt, getragen von neuester Wissenschaft, Ambitionen nach globaler Wettbewerbsfähigkeit und vom Wunsch, Forschung und Agrarwirtschaft zukunftsfit zu machen.

Früher hätte Österreich an dieser Stelle laut protestiert. Heute begnügt man sich mit der Ankündigung, man werde der Einigung nicht zustimmen. Ein symbolisches Nein also – eines, das nichts verhindert, aber symbolisch Haltung markiert.

Ein verschobenes Kräftefeld

Man kann das als realpolitische Anpassung loben: Ein kleines Land kann nicht dauerhaft gegen eine wissenschaftlich-technologische Welle anregieren, wenn alle großen Agrarräume bereits liberalisiert haben. Doch es bleibt ein Beigeschmack.

Denn auffällig ist nicht, dass sich Österreich geschlagen gibt, sondern wie leise es geschieht. Ohne gesellschaftliche Debatte. Ohne Aufschrei. Ohne jenen öffentlichen Druck, der frühere Gentechnikschlachten geprägt hat. Ohne jenes Zusammenwirken von Medien, NGOs und politischen Akteuren, das Österreich jahrzehntelang zu einer gentechnischen Sonderzone formte.

Die Rollen haben sich verschoben: Medien setzen bisher kaum Impulse, Politik verhält sich defensiv, und die EU übernimmt die Definitionsmacht über das, was unter „Innovation“ und „Risiko“ zu verstehen ist. Ein nationales Tabu löst sich auf – nicht durch Einsicht, nicht durch Klarstellung, sondern durch Schweigsamkeit.

Was bleibt von Österreichs Mut?

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig meldet zwar Widerstand an, verweist auf Wahlfreiheit und Kennzeichnungspflicht. NGOs warnen vor Patentlogiken, nationalen Eigenheiten und Ackergrenzen, Biobauern fürchten um genetische Verunreinigungen ihrer Ware. Doch es fehlt die verdichtende Kraft eines gesellschaftlichen Konsenses, die Gentechnik weiterhin anzuprangern.

Österreich hatte einmal das Selbstbewusstsein, eine eigene Position zu vertreten – aus Prinzip. Dieser Anspruch wirkt heute museal. Ähnlich verläuft es mit der Neutralitätsdebatte. Die EU entscheidet. Österreich schwimmt mit.

Vielleicht ist das unvermeidlich. Vielleicht auch nicht. Eine reformierte politische Kraft könnte die eigenständige Haltung wieder hervorkehren. Dafür darf man dann auch seine Meinung wieder ändern.

(red)

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