Psychotherapie wird endlich Kassenleistung

Ab Frühjahr 2026 übernimmt die Krankenkasse klinisch-psychologische Behandlungen vollständig.

10.12.2025 16:55
Redaktion
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Die Entscheidung kam spät, aber sie kam: Ab dem Frühjahr 2026 wird die klinisch-psychologische Krankenbehandlung erstmals vollständig von Österreichs Sozialversicherungen finanziert. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) hat gemeinsam mit SVS und BVAEB einen Gesamtvertrag mit dem Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen abgeschlossen. Rund 120.700 Behandlungseinheiten pro Jahr stehen künftig zur Verfügung, gesichert zumindest bis 2028. Damit entfällt die bisher notwendige Vorfinanzierung – eine Schwelle, an der viele Betroffene bisher scheiterten.

Massive Nachfrage seit der Pandemie

Die Bedeutung dieser Reform erschließt sich erst vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre. Seit der Corona-Pandemie berichten Fachstellen von einer spürbar verschärften psychischen Belastung: Einsamkeit, Ängste, Erschöpfung – und zwar nicht nur bei Erwachsenen. Besonders Kinder und Jugendliche zeigten auffallende Belastungssymptome. Studien dokumentieren einen deutlichen Anstieg von depressive Verstimmungen, sozialen Rückzügen und familiären Überforderungen. Der Bedarf an Behandlung war schon lange vor der Pandemie hoch, seither ist er strukturell gewachsen.

Dazu kommt ein Befund, der oft übersehen wird: Eine Erhebung des Berufsverbands BÖP zeigte bereits früher, dass rund 39 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens eine psychische Erkrankung entwickeln. In jüngeren Diskussionen kursieren höhere Schätzungen von bis zu 45 Prozent – abhängig von Definition, Erhebungsmethode und Zeitraum. Klar ist: Der Anteil ist groß, und die Versorgungslage war dem Ausmaß bisher nicht gewachsen.

Wartezeiten, Kosten, Engpässe

Bislang waren klinisch-psychologische Behandlungen zwar teilweise erstattungsfähig, doch die Zuschüsse deckten nur einen kleinen Teil der realen Kosten: zwischen 33 und 46 Euro pro Sitzung. Der Großteil musste privat bezahlt werden – häufig 100 Euro und mehr pro Termin. Für viele Familien bedeutete das, dass dringend nötige Unterstützung schlicht nicht finanzierbar war.

Gleichzeitig kämpften Betroffene mit langen Wartezeiten. In einigen Regionen gab es kaum Angebot, in anderen wurden Patientinnen und Patienten monatelang vertröstet. Die neue Regelung dürfte hier spürbar entlasten: Neben der Kostenübernahme betonen ÖGK und BÖP, dass die Einheiten künftig entsprechend der Bevölkerungsverteilung vergeben und über eine zentrale Servicestelle vermittelt werden sollen.

Versorgungsgerechtigkeit

Aus gesellschaftlicher Sicht kommt diese Reform zur richtigen Zeit. Die psychischen Belastungen in Österreich sind real, tief und vielfach chronisch geworden. Besonders Menschen mit geringem Einkommen, Alleinerziehende oder Familien, die durch Pandemie und Inflation mehrfach getroffen wurden, profitieren nun von einem leicht zugänglichen Angebot – ohne finanziellen Vorlauf, ohne komplizierte Anträge.

Auch gesundheitspolitisch ergibt die Maßnahme Sinn. Frühzeitige psychologische Behandlung kann verhindern, dass akute Probleme zu langfristigen Erkrankungen werden, die wiederum zu Krankenständen, Arbeitslosigkeit oder sozialen Folgeproblemen führen. Prävention ist hier nicht nur ein humanes, sondern ein wirtschaftliches Argument.

Noch viele Baustellen

Die Finanzierung ist vorerst bis 2028 gesichert. Ob die jährlichen 120.700 Einheiten später erweitert werden müssen, wird sich rasch zeigen. Erfahrungsgemäß steigt die Nachfrage deutlich, sobald ein Angebot niederschwellig und kostenfrei verfügbar ist. Entscheidend wird sein, ob genug Fachkräfte zur Verfügung stehen – und ob die Versorgung auch in ländlichen Regionen wirklich ankommt.

(red)

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