Tiertransporte geraten außer Kontrolle
Vor der türkischen Küste zeigt ein festgesetzter Viehfrachter, wie krank die globale Tierindustrie organisiert ist.
Seit fast zwei Monaten liegt das Viehtransportschiff Spiridon II mit rund 2.900 Rindern aus Uruguay vor der türkischen Küste fest. Ausladen durfte der Frachter nicht: Dokumente seien fehlerhaft, Chips und Ohrmarken fehlten, 469 Tiere stimmten laut Behörden nicht mit den vorab eingereichten Listen überein. Während Unternehmen gegen die Ablehnung Einspruch einlegten, starben an Bord laut Tierschutzorganisationen bereits mindestens 48 Tiere – vermutlich mehr. Auch 140 Kälber wurden laut Gerichtsdokumenten unterwegs geboren, 90 von ihnen sind nicht auffindbar.
Zu Beginn der Woche durfte das Schiff kurz zum Nachladen von Heu andocken. Für die Tiere änderte das kaum etwas: Futter und Wasser sind knapp, die Belüftung auf niedrigeren Decks ist schlecht, und Schiffe dieser Bauart sind nicht dafür ausgelegt, Rinder über derart lange Zeiträume zu halten. Tierschützer sprechen von „denkbar schlechten Bedingungen“.
Organisiert gegen Tierwohl
Der Fall ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines Systems, das seit Jahren außer Kontrolle geraten ist. Kälber werden in einem Land geboren, in einem zweiten aufgezogen und in einem dritten geschlachtet. Der Grund dafür ist stets derselbe: Preisvorteile. Länder mit niedrigen Futterkosten beliefern Länder mit hoher Nachfrage – und jeder Zwischenstopp bedeutet Transportstress, Verletzungen und vermeidbare Tierqualen.
Die EU-Standards mögen strenger sein als jene anderer Weltregionen, sie verhindern aber nicht, dass Tiere über tausende Kilometer per LKW oder Schiff durchhitzen, dehydrieren oder bereits tot ankommen. Veterinärkontrollen sind oft lückenhaft, Verstöße wegen Personalmangels schwer nachzuverfolgen. Selbst innerhalb Europas werden Transporte immer wieder dokumentiert, die deutlich über die erlaubten Stunden hinausgehen.
Risiken für Tier und Mensch
Extremtransporte sind nicht nur ein Tierwohlproblem. Sie bergen auch Risiken für uns Menschen. Stress und Dehydrierung machen Tiere anfälliger für Infektionen. Schlechte Belüftung in den Schiffsbäuchen fördert Keime, die später in die Lebensmittelkette gelangen können. Tierärzte warnen seit Jahren, dass lange Transporte die Wahrscheinlichkeit von Krankheitsausbrüchen erhöhen – ein Risiko, das global vernetzte Lieferketten weiter verschärfen.
Selbst die Qualität des späteren Gourmet-Fleischs sinkt, wenn Tiere geschwächt, verletzt oder kurz vor der Ankunft verenden. Die industriellen Lobbys tun alles, um diese Zusammenhänge aus der Öffentlichkeit zu halten: Für sie geht es nur um den Profit.
Politische Verantwortung
Der Fall vor der Türkei zeigt, wie sehr Regulierungen hinterherhinken. Tierschutzverbände fordern daher ein Verbot von Langstreckentransporten, strengere Kontrollen an EU-Außengrenzen und klare Haftungsregeln für Verluste auf See. Österreich steht dabei nicht abseits: Auch heimische Rinder gehen regelmäßig auf Reisen, auch hier bestimmt der internationale Markt die Route.
Die EU spielt dabei wieder einmal eine zentrale Rolle. Sie verweist gerne auf strengere Vorgaben als andere Weltregionen. Doch für die Tiere ändert das nichts. Ob sie wochenlang auf Schiffen gehalten, per LKW quer durch Europa gefahren oder in Frachtflugzeugen über Kontinente transportiert werden – die Belastung bleibt enorm.
Solange wirtschaftliche Interessen über das Tierwohl gestellt werden, bleibt das System, was es heute ist: krank.
(red)