Tödliche Gefahr aus dem ewigen Eis
Wie uralte Viren aus dem Permafrost die Menschheit bedrohen könnten, wenn die Erderwärmung zunimmt.

Die globale Erwärmung verändert nicht nur unsere Gegenwart – sie öffnet auch ein Fenster in die Vergangenheit. In den auftauenden Permafrostböden der Arktis schlummern biologische Relikte aus längst vergangenen Zeitaltern. Einige davon könnten eine ernstzunehmende Bedrohung für die Zukunft darstellen: Viren, die seit zehntausenden Jahren eingefroren sind – und potenziell wieder aktiv werden.
Urzeitliche Viren erwachen
In den vergangenen Jahren haben Forscher mehrfach sogenannte „Zombie-Viren“ aus dem sibirischen Permafrost isoliert und im Labor reaktiviert. Der bislang älteste Erreger wurde 2022 von einem französisch-russischen Forschungsteam aus einem 48.500 Jahre alten Bodenprofil entnommen – ein Virus, das Bakterien befällt, aber unter kontrollierten Bedingungen wieder infektiös gemacht wurde.
„Solche Funde zeigen, dass virale Partikel unter den richtigen Bedingungen über extrem lange Zeiträume infektiös bleiben können“, sagt der Virologe Prof. Jean-Michel Claverie von der Universität Aix-Marseille, der an den Studien beteiligt war. Auch wenn bislang ausschließlich Viren nachgewiesen wurden, die für Menschen ungefährlich sind, warnen Fachleute vor der Unvorhersehbarkeit der Situation.
Klimawandel als Freisetzungsmechanismus
Mit steigenden Temperaturen taut der Permafrostboden zunehmend auf – besonders in Sibirien, Alaska und Nordkanada. Dabei gelangen nicht nur Methan und Kohlendioxid in die Atmosphäre, sondern auch eingefrorene biologische Substanzen, darunter Mikroben, Pilzsporen und Viren, zurück an die Oberfläche.
Die reale Gefahr: Ein unbekannter Erreger könnte auf Mensch oder Tier überspringen – ohne dass unser Immunsystem oder das medizinische System vorbereitet wäre. Ähnlich wie bei SARS-CoV-2 bestünde das Risiko einer sogenannten Zoonose, bei der ein Erreger von einem tierischen Reservoir auf den Menschen überspringt.
Wissenschaft versus Spekulation
Noch handelt es sich bei der Bedrohung vor allem um ein theoretisches Risiko – aber eines, das mit jedem weiteren Grad Erderwärmung greifbarer wird. In einer 2023 veröffentlichten Studie warnten Klimawissenschaftler und Virologen gemeinsam vor den „unkalkulierbaren biologischen Risiken“ auftauender Permafrostgebiete.
„Wir haben es hier mit einer wissenschaftlichen Grauzone zu tun“, so Claverie. „Die Möglichkeit ist da – und in der Klimakrise sollten wir nicht nur mit den Konsequenzen des Jetzt rechnen, sondern auch mit denen aus der tiefen Vergangenheit.“
Der tauende Permafrost ist nicht nur eine geophysikalische Herausforderung – er ist auch ein biologisches Risiko. Die Menschheit könnte in den kommenden Jahrzehnten mit Erregern konfrontiert werden, die seit Jahrtausenden nicht mehr existierten – oder nie zuvor Kontakt mit Menschen hatten. Wie groß diese Bedrohung tatsächlich ist, wissen wir nicht. Aber sie wächst – Zentimeter für Zentimeter, mit jedem schmelzenden Meter Eis.
(red)