Weniger Gelsen in Wien – kein Grund zur Freude

Ein von der Stadt Wien durchgeführtes Stechmücken-Monitoring zeigt einen massiven Rückgang der Insekten.

04.08.2025 16:44
Redaktion
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Tigermücke

Die Stadt Wien erfasst seit Jahren regelmäßig Gelsen an festgelegten Fallenstandorten im Rahmen eines Stechmücken-Monitorings. Heuer lag das Aufkommen im Mai, Juni und Juli bei nur rund 30 % der Mengen aus den Vorjahren. Kühle Temperaturen im Mai und ungewöhnlich trockene Phasen im Juni hemmten die Entwicklung der Larven. Überschwemmungsgelsen blieben fast aus, Tigermücken tauchten erst spät auf. Doch Fachleute betonen: Klimatische Bedingungen erklären nicht den gesamten Rückgang.

Ursachen für das Insektensterben

Wien hat seit 2022 eine Strategie zur Pestizidminimierung: chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat sind auf städtischen Grünflächen verboten. Dennoch gelangen Pestizide durch private Gartenanwendung sowie aus landwirtschaftlich genutzten Flächen im Stadtgebiet und angrenzenden Regionen in Parks, Kleingärten und Gewässer. Diese Stoffe treffen nicht nur Zielorganismen, sondern schwächen auch Bestände von Bienen, Schmetterlingen, Libellen und anderen Insektenarten (Quelle).

Hinzu kommt die veränderte Stadtgestaltung: Immer weniger fruchttragende Sträucher wie Kriachal oder Holunder, oft gerodete Beerenbüsche und dürretolerante Stadtbäume, die kürzer blühen und weniger Nektar produzieren. Auch das Austrocknen oder gezielte Umleiten kleiner Gewässer – von Tümpeln bis zu Pfützen entlang von Bächen und Teichen – entzieht Gelsen und anderen Wasserinsekten Brutplätze. Langfristig ist das nicht nur für diese Arten problematisch, sondern für das gesamte städtische Ökosystem ein Alarmsignal.

Wetter ist nicht an allem schuld

Der Rückgang der Gelsen ist nur ein sichtbares Symptom – wer sie pauschal bekämpft, trifft damit zwangsläufig auch viele andere Insektenarten. Diese bilden jedoch die Grundlage für ganze Nahrungsketten, insbesondere für Vögel, deren Bestände ebenfalls seit Jahren zurückgehen. Ursache ist nicht allein das Wetter: Fehlende Blüh- und Nektarpflanzen, ausgeräumte Gärten, stark zurückgeschnittene Sträucher und das Verschwinden kleiner Wasserflächen entziehen zahlreichen Arten Lebensraum und Futter. Auch aus dem Umland gelangen Pestizide und Insektensterben durch Verwehung und Eintrag nach Wien. Hinzu kommt, dass viele Privatgärten inzwischen nahezu steril gehalten werden – mit kurz geschnittenem Rasen und kaum insektenfreundlichen Strukturen.

Mehr als nur Plagegeister

Gelsen gelten vielen als lästige Stechinsekten und potenzielle Krankheitsüberträger. Dabei erfüllen sie wichtige Funktionen – auch im städtischen Raum. Sie sind Nahrungsquelle für Vögel, Fledermäuse, Amphibien und Fische in Teichen und Wasserläufen. Ihre Larven filtern organische Stoffe in Regentonnen, Parkteichen oder überfluteten Wiesen und tragen so zur Selbstreinigung kleiner Gewässer bei.

Wer Gelsen pauschal bekämpft, schwächt nicht nur Nahrungsketten in der freien Natur, sondern auch die sensiblen ökologischen Kreisläufe einer Stadt – und damit indirekt auch Vogelbestände, die auf Insekten angewiesen sind. Ein wirksamer Insektenschutz sollte daher nicht auf die Eliminierung einzelner Arten abzielen, sondern Lebensräume erhalten und natürliche Gleichgewichte fördern – auch mitten in der Stadt.

(red)

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