Wer fürchtet sich vorm bösen Wolf
Das Land Tirol will Wölfe schon vor dem ersten Riss erlegen lassen – Kritik daran regt sich. Hier auch.

Die Tiroler Landesregierung zieht die Daumenschrauben an: Bis zur Almsaison 2026 soll eine Gesetzesänderung ermöglichen, sogenannte Risikowölfe auch ohne nachgewiesene Nutztierschäden zu töten. Hintergrund ist die von der EU abgesenkte Schutzkategorie des Wolfs. Landeshauptmann Anton Mattle und sein Stellvertreter Josef Geisler (beide ÖVP) setzen nun auf Jagd, bevor etwas passiert – eine Art präventiver Abschuss auf Verdacht.
Almidylle unter Dauerbeobachtung
Konkret geht es um Tiere, die „um Almen herumschleichen“ – also genau dort, wo der Mensch seit Jahrhunderten Nutztiere in weitgehend schutzloser Freiheit hält. Dass man Senner, Hirtenhunde oder mobile Zäune zur Abwehr großräumig einsetzt, sei laut Tirol „nicht machbar“. Es fehle am Personal, am Geld – und an Geduld. Man habe „alles probiert“, betont Geisler. Dass sich die Zahl der gerissenen Schafe in Tirol aber ohnehin bereits halbiert hat (von 791 im Jahr 2022 auf 323 im Vorjahr), fällt aus der Argumentation.
Gleichzeitig wird Druck auf die EU gemacht: Die ÖVP fordert eine reguläre Wolfsjagd mit Abschussquoten im gesamten Alpenraum – ähnlich der Gams oder des Rotwilds. Die dafür notwendige Änderung der FFH-Richtlinie liege nun bei Umweltkommissarin Jessika Roswall. In den Worten Geislers klingt das wie ein Versprechen: „Vielleicht sogar bis kommendes Jahr.“
Abschusspolitik aus Sorge vor Ängsten
Der politische Aktionismus ist Teil einer größeren Erzählung: Die „alpine Kulturlandschaft“ sei in Gefahr, wenn der Wolf sich ausbreite. Dass die Population österreichweit stagniert oder gar zurückgeht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Die mediale Dramaturgie verlangt nach einem Bösewicht – und der ist gefunden. Dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich zur Wolfsgegnerin wurde, nachdem ihr Pony von einem Wolf gerissen worden war, verleiht der Debatte zusätzliche Brisanz. Ihr Zitat, man müsse „die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen“, wird seither vielerorts als Blankoscheck für härtere Maßnahmen verstanden.
Survival-Tipps für schutzlose Schafe
Was tun, wenn der Senner lieber Homeoffice macht? Hier einige Überlebenstipps für Lämmer in Gefahr:
- Tarnung hilft: Im Schatten großer Kühe verstecken. Die werden selten gerissen.
- Nie allein grasen: Gruppenhaltung verringert das Risiko, als „leicht zu erlegender Einzelgänger“ aufzufallen.
- Zäune als Freund sehen: Auch wenn’s nervt – stromführende Netze sind Lebensversicherung.
- Bei Vollmond nicht angeben: Wer springt, blökt und tanzt, fällt auf.
- Appell an die Hirten: Vielleicht doch wieder häufiger nach dem Rechten sehen?
Das sagt CheckList
Der Schutz des Wolfs, der Wölfinnen und ihrer Welpen ist ein sensibles Thema. Zwischen traditioneller Almbewirtschaftung, emotionalen Debatten und europarechtlichen Vorgaben trauen sich die Gegner, ihren Abschuss immer lauter zu fordern. Und immer öfter.
Doch jede weitere Maßnahme sollte sorgfältig abgewogen werden. Denn wer Wildtiere zur Gefahr erklärt, weil die Ressourcen fehlen, um Nutztiere in freier Wildbahn zu schützen, riskiert nicht nur den Verlust biologischer Vielfalt, sondern auch den Blick auf die komplexe Koexistenz mit der Natur.
Harte politische Maßnahmen aus Sorge vor noch viel Schlimmerem hatten wir erst. Schön langsam muss Schluss sein mit der Angstmacherpolitik. Sonst bleiben die Wölfe auf der Strecke und die Schafe regieren.
(APA/red)