Wie das Einwegpfand-System Leben retten kann

Nicht nur der Umwelt nützt das Pfandsystem – auch für Menschen mit geringem Einkommen eröffnet es neue Möglichkeiten.

14.07.2025 14:44
Redaktion
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Einwegpfand-Rückgabe

Offiziell ist es ein ökologischer Fortschritt: Seit 1. Jänner 2025 gilt in Österreich auf Einwegkunststoffflaschen und Aludosen bis drei Liter ein Pfand von 25 Cent. Wer das Gebinde unzerdrückt, mit Deckel und lesbarem Etikett retourniert, erhält das Geld zurück. Das Umweltministerium freut sich: Die Quote des Kunststoffrecyclings soll bis Jahresende auf 50 Prozent steigen – fast eine Verdoppelung gegenüber dem bisherigen Stand.

So weit die Theorie. In der Praxis stößt das neue System auf mehr Skepsis, als es die Werbekampagnen vermuten lassen. Eine aktuelle YouGov-Umfrage zeigt: Zwar stehen 70 Prozent dem neuen System grundsätzlich positiv gegenüber – doch viele Konsument:innen greifen nun lieber zu sirupbasierten Produkten, bei denen kein Pfand fällig wird.

Einzig die Hoffnung auf eine nachhaltigere Verwertung – und die gefühlte Alternativlosigkeit im Umgang mit Getränken, die überwiegend nur in Einwegflaschen oder Dosen erhältlich sind – hält das System bislang im Spiel. Dabei war die Lösung zum Teil längst vorhanden: Die flächendeckende Sammlung von Kunststoffverpackungen über die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack hat vielerorts funktioniert – einfach, platzsparend, haushaltsnah. Stattdessen entstand nun ein zweites, paralleles Rückgabesystem mit eigenen Regeln, Automaten und Abhängigkeiten.

Die Schraube mit System

Die Einführung verlief in mehreren Stufen – und nicht immer nachvollziehbar. Zuerst wurde verfügt, dass Schraubverschlüsse künftig fest mit der Flasche verbunden sein müssen. Damals sorgte das für Kopfschütteln. Was nach Öko-Gimmick aussah, könnte in Wahrheit eine technische Vorbedingung für das Einwegpfandsystem gewesen sein: Nur mit geschlossenem Deckel – und damit ohne auslaufende Restflüssigkeit – funktionieren viele Rücknahmeautomaten reibungslos. Ein Schelm, wer Zusammenhänge vermutet. Aber zumindest stellenweise ergibt die Logik nun Sinn.

Das Ganze wurde mit einer EU-Vorgabe begründet – konkret der EU-Richtlinie 2019/904, die seit Juli 2024 vorschreibt, dass Kunststoffverschlüsse fest mit dem Flaschenhals verbunden sein müssen. Offiziell, um das Littering von Kleinteilen zu reduzieren. In der Praxis ist der fest verankerte Stöpsel heute vor allem eines: eine technische Rückgabevoraussetzung. Ohne Deckel keine Annahme – kein Pfand.

Das erscheint umso fragwürdiger, wenn man das Materialgewicht betrachtet: Der Deckel einer PET-Flasche wiegt etwa zwei bis drei Gramm, die Flasche selbst rund 25 Gramm. Rein rechnerisch macht der Stöpsel also etwa ein Zehntel des Gewichts aus – bei einem Pfandwert von 25 Cent. Ob dieser Bruchteil wirklich über die Rückgabe entscheidet?.

Die neue Währung auf der Straße

Und doch zeigt das System Nebenwirkungen, die bislang wenig beachtet wurden. In mehreren Städten – etwa Graz und Salzburg – wurden Pfandringe an öffentlichen Mülleimern angebracht: kleine Halterungen, in denen Flaschen separat entsorgt und von anderen entnommen werden können. In Wien fehlt ein solches Angebot bislang.

Denn was man offiziell selten anspricht: Das Pfand hat einen neuen Zugang zu Einkommen geschaffen – gerade für Menschen, die sonst kaum Teilhabe am regulären Arbeitsmarkt haben. Statt im Abfall nach verwertbarem Material zu suchen, können sie nun gezielt und sichtbar tätig werden – mit kalkulierbarem Wert. 25 Cent pro Flasche oder Dose. Eine Art Mikroeinkommen im öffentlichen Raum – legal, akzeptiert, diskret.

Kein Platz in der Hauptstadt

In Städten wie Linz oder Innsbruck gibt es sie bereits auch, doch in Wien sind Pfandringe an öffentlichen Mistkübeln ausdrücklich nicht vorgesehen. Die zuständige Magistratsabteilung 48 lehnte Mitte Mai deren Einführung aus optischen und hygienischen Gründen ab. Man fürchtet Müllansammlungen, halbvolle Gebinde und dadurch entstehende Probleme mit Insekten oder Geruchsbelästigung. Außerdem sei die soziale Wirkung der Maßnahme „nicht treffsicher“ – jeder könne Flaschen entnehmen, nicht nur Bedürftige. Stattdessen setzt die Stadt auf Eigenverantwortung: Bürger:innen sollen das Pfand „verantwortungsvoll“ über Rückgabestellen im Handel abwickeln. Das Ziel: eine Rücklaufquote von 95 Prozent – ganz ohne zusätzliche Vorrichtungen im öffentlichen Raum.

Mehr als Müll

Das Pfandsystem mag in vielen Punkten bürokratisch, teuer und intransparent sein. Es zwingt Konsumenten zu Verhaltensänderungen, die nicht immer gewünscht sind. Es schafft neue Regeln, die man erst lernen muss. Und es wirft die Frage auf, wer von nicht zurückgebrachten Flaschen eigentlich profitiert – Hersteller, Handel, die Umwelt, Einkommensschwache oder das System selbst?

Ob tatsächlich die Umwelt der größte Nutznießer ist, darf angesichts der bereits etablierten Sammelquoten in Österreich – insbesondere bei Papier, Glas und Metall – bezweifelt werden.

Und doch: Auch in einem Land mit funktionierenden Sozialstrukturen hat das Pfand einen Nebeneffekt erzeugt, der nicht auf dem Plan stand – aber Wirkung zeigt, auch wenn diese nicht nachgemessen wurde. Aber es lässt sich beobachten, dass immer mehr Menschen in Mistkübeln nach wertvollem Plastik suchen.

Was in Ländern wie Deutschland oder Skandinavien längst zur Alltagsroutine gehört, ist nun auch in Österreich Realität. Man muss Plastikflaschen nicht lieben, um anzuerkennen, dass ausgerechnet sie nun Chancen eröffnen, die vorher niemand gesehen hat.

(red)

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